Montag, 12. Dezember 2011

Stephan Berndt: Hellseher und Astrologen im Dienste der Macht

Der Autor Stephan Berndt hat mit diesem Buch eine Arbeit veröffentlicht, die vielfach durch eine hervorragende Quellen-Basis auffällt. Da der Abschnitt zu den Hellsehern und Astrologen im Dritten Reich der größte ist, konzentriere ich mich als Beispiel ganz auf dieses Kapitel. Und hier hat Berndt wirklich eine Recherche-Arbeit geleistet, die bisher nicht erreicht wurde, auch wenn sie an wenigen, dafür aber entscheidenden Punkt fehl ging, was noch weiter unten angesprochen wird.
















So bemerkenswert gut und lesbar das Buch gegliedert und geschrieben ist: Schon bei der Definition von Okkultismus, DEM zentralen Schlüsselbegriff des Buches, geht der Autor so fahrlässig wie willkürlich vor, dass man schon hier weiß, dass er allem und jedem "Okkultismus" unterstellen wird. So zitiert Berndt den Brockhaus mit dessen Okkultismus-Definition, Berndts eigene wird demgegenüber als "Sammelbegriff für die Astrologie und die Hellseherei verwendet, also für Methoden der Zukunftsdeutung, die heutzutage von der Wissenschaft abgelehnt werden".
Das hindert den Autor aber nicht daran, zeitgleich im Buch auch die gebräuchlichen Definitionen zu benutzen, wo es für ihn vermutlich von Nutzen ist. So z. B. wenn er S. 263 von der Idee des Okkulten schreibt, dass bestimmte Aspekte so geheim seien, dass auch enge Vertrauenspersonen davon nichts wüssten. Sofern sie nicht Eingeweihte sind, möchte ich hinzufügen. Dies ist eines der zentralen Merkmale des Okkultismus, welches der Autor in der Einleitung erst übergeht und dann später doch wieder öfter verwendet.

Zugleich bemerkt Berndt geistreich, dass unsere Zeit eigentlich voll mit Technik sei, die man vor 400 Jahren weder hätte erklären noch verstehen können. Dabei entging ihm bei dieser Bemerkung, dass die Astrologie selber damals umgekehrt nicht als Okkultismus galt, vielfach wurde sie als Teil der Astronomie gelehrt und praktiziert. Die Astrologie war und ist weder eine Geheimlehre, noch Eingeweihten vorbehalten, auch wenn die englischsprachige Theosophie zwischen 1880 und 1930 bekanntermaßen eine esoterische inspirierte, abgewandelte Astrologie in ihre Anschauungen integrierte. Gleiches gilt für den den neuen Okkultismus ab zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der sich ebenfalls bei der Astrologie bediente und häufig zusammen mit der Theosophie auftrat. Der Autor Ellic Howe, auf dessen Werk URANIAS KINDER sich Berndt so oft bezieht, bringt genau dies ausdrücklich in seinem Abriss zur Astrologie-Geschichte zur Sprache, wenn er  explizit schreibt (S. 117f.) :
"Vor 1914 waren die wenigen deutschen Astrologen entweder Theosophen oder Okkultisten oder beides. Sie betrachteten die Astrologie als eine essentielle hermetische Wissenschaft. Doch die meisten Newcomer [der zwanziger Jahre in Deutschland] interessierten sich weder für Theosophie und deren Sproß Anthroposophie noch für Okkultismus, sondern sahen in der Astrologie eine Wissenschaft..[...]"

Daher stammt das aktuellste Astrologie-Lexikon folgerichtig von einem Astronomie-Historiker und Universitätslehrer, in einem Wissenschaftsverlag erschienen.
Der Autor ignoriert damit die wesentlichsten Elemente des modernen Okkultismus, der dem 19. Jh. und vor allem der Theosophie entstammt. Er ignoriert sie zugunsten eines willkürlichen wie sehr schlichten Okkultismus-Begriffes, bei dem auch das Christentum mit seinem heilsgeschichtlichen Zukunftsplan wie der Marxismus mit seinem teleologischen Geschichtsbild der Zukunft dem Okkultismus zugehören würden.


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Zugleich wird bei Berndt mit "Okkultismus" eine allmächtige, geheime und alles irgendwie erklärende, wenngleich wiederum nicht fest umrissene, aber jedenfalls gefährliche Kraft angeboten, wenn man dem Buch folgt. Atemlos geht es vielfach um die Frage, ob z. B. Hitler nicht richtiger Okkultist war - so, als ob dies alle ungelöste Fragen lösen und manches mehr erklären würde. So spekuliert der Autor in den letzten Zeilen zum Kapitel Drittes Reich sehr freizügig, wo es um das ungelöste Rätsel mit dem Namen Hitler geht und - nach Autor Stephan Berndt -  sogar Hitler-Biograph Fest von einer Art Nichts spreche, dem Hitlers Entschlüsse entsprungen wären. Doch Berndt weiß überraschenderweise, Entschlüsse dieser Art könnten keiner Art Nichts entspringen, wo Hitlers Entschlüsse also her kämen? Das Buch gibt die Antwort...natürlich vom Okkultismus.


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Weiter erkennt man sehr oft, wie selektiv der Autor seine Quellen verwendet - und deutet. Ein schönes Beispiel befindet sich auf S. 139, Berndt zitiert:

"Nachdem die Parteiamtliche Prüfungskommision durch einen Führerverfügung [...] eine erweiterte Verbotsfunktion auf dem Gebiet des Schrifttums erhalten hatte, nutzte sie dies sogleich dazu aus, das astrologische Schrifttum zu schützen und bereits erlassene Verbote, die auf unseren Antrag hin vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda ausgesprochen worden waren, wieder aufzuheben."

Berndt meint dazu, der Absatz sei eine Sensation, er würde nicht anderes besagen, als dass Adolf Hitler um die Jahreswende 1940/1941 höchstpersönlich durch eine Führerverfügung dafür sorgte, dass ein Verbot okkulter Literatur (....) von Heß & Co. wieder aufgehoben werden konnte. Doch dies lässt sich schon aus dem abgedruckten Zitat nicht entnehmen. Das Zitat macht deutlich, dass die Parteiamtliche Prüfungskommission einen Führererlass, der ihr eine erweiterte Verbotsfunktion gegeben hatte, AUCH dafür nutzte, einige Verbote astrologischer Literatur wieder aufzuheben. Dass die Parteiamtliche Prüfungskommision mit dem "Führerstellvertreter" & Hitler-Freund Heß gar nichts zu tun hatte, verschweigt Autor Berndt ganz relaxt...Philipp Bouhler, wäre der passende, aber eben nicht an Hitler nahe genug reichende Name gewesen.

Doch zitiert ja Berndt nicht vollständig, es fehlt ein kleiner Zusatz, den er durch [...] kennzeichnet. Diesen Zusatz habe ich selber online beim Bundesarchiv nochmals überprüft, Berndt gibt das Bundesarchiv als Online-Quelle samt Akten-Nr. an, im Buchanhang findet sich ebenfalls der Text. Das Zitat lautet vollständig:

"Nachdem die Parteiamtliche Prüfungskommission durch eine Führerverfügung, die wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem neuen Auftrag der Reichsstelle für das Schul- und Unterrichtsschrifttum steht, eine erweiterte Verbotsfunktion auf dem Gebiet des Schrifttums erhalten hatte, nutzte sie dies sogleich dazu aus, das astrologische Schrifttum zu schützen und bereits erlassene Verbote, die auf unseren Antrag hin vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda ausgesprochen worden waren, wieder aufzuheben."
Mit dem vollständigen Zitat wird klar, dass die sehr gewollte Deutung dieser Zeilen durch den Autor erst recht keinerlei Grundlage gehabt hätte/hat. Hat Berndt deswegen den 2. Teilsatz ausgelassen?


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Ein weiteres Beispiel von zahllosen anderen Beispielen dafür, wie der Autor Zitate und Quellen fast beliebig einsetzt, um seinen Okkultismus-Verdacht um fast jeden Preis zu belegen, findet sich auf den Seiten 213 - 219 des Buches von Berndt. Er zitiert auf S. 213-214 zunächst einen Historiker, der wiederum aus einem Tagebucheintrag vom 15.4.1945 eines sehr hohen Nazis (von Krosigk) zitiert, welcher von Treffen mit Goebbels berichtet. Goebbels habe Hitler, so von Krosigk, einige Tage zuvor besucht und aus einem Buch vorgelesen, um Hitler angesichts der fast aussichtslosen Lage zu trösten. Der Historiker zitiert von Krosigk weiter:

"Sie besprachen die Sache hin und her und ließen sich im Verlaufe der Unterhaltung zwei Horoskope kommen, die in einer von Hitlers Forschungsabteilungen sorgfältig aufgewahrt wurden: Das am 30. JANUAR 1933 gestellte Horoskop des Führers und das Horoskop der Republik, datiert 9. Nomber 1918."
Das Zitat geht noch weiter und ist der Aufhänger einer seitenlangen Spekulation des Autors zum Okkultismus Hitlers, seiner Astrologie-Nähe und möglichen supergeheimen, persönlichen Astrologen Hitlers. Diese Spekulation wird als "Beweis" offeriert, auf Basis von Wort-Deutungen und Schlussfolgerungen wie Verdrehungen der zitierten Zeilen.

Und erst auf Seite 218 zitiert Berndt aus einem Tagebuch-Eintrag Goebbels vom 30.3. 1945 zum gleichen Thema:

"Mir wird umfangreiches Material zur Einleitung einer astrologischen oder spiritistischen Propaganda voergelegt, unter anderem auch das sogenannte Horoskop der Deutschen Republik vom 9. November 1918, wie auch das Horoskop des Führers. Beide Horoskope stimmen in frappierender Weise überein. Ich kann verstehen, dass der Führer die Beschäftigung mit solchen unkontrollierbaren Dingen verboten hat."
Ellic Howe, aus dessen Buch URANIAS KINDER der Autor öfter zitiert und auf den er sich häufig bezieht, bringt die beiden Zitate in der zeitlich richtigen Reihenfolge, erst Goebbels Eintrag vom 30.3.1945, dann den Tagebuch-Eintrag von Krosigks vom 15.4.
Howe wie Berndt erkennen, dass die Notiz vom 30.3. die gleichen Horoskope meint, wie die Tagebuch-Notiz vom 15.4.1945. Berndt ignoriert allerdings alle weiteren Details von Goebbels' Eintrag. Aus Goebbels Eintrag wird unmittelbar erkennbar, dass die beiden Horoskope TEIL umfangreichen Propaganda-Materials waren. Sie stammen also aus Goebbels Propaganda-Ministerium, Goebbels war ja Propaganda-Minister.
Das wird auch im 2. Teil des Tagebuch-Zitates von Goebbels im Buch des Autors deutlich, denn, so Goebbels im Zitat beim Autor, "für mich sind solche astrologischen Weissagungen ohne jeden Belang; aber ich habe doch die Absicht, sie für anonyme und getarnte Propaganda in der Öffentlichkeit zu benutzen, [...] ."
Und wie Berndt selber schreibt, hat der Astrologe u. Nostradamus-Forscher Krafft 1942 für eine der vielen Abteilungen des Propaganda-Ministerium gearbeitet. Zusammen mit einem weiteren Astrologen, F.G. Goerner, was Berndt allerdings verschweigt, wie er überhaupt die offensichtliche Herkunft der beiden Horoskope ignoriert. Goerner wie Krafft hatten zusammen Horoskope und Horoskopdeutungen für Propaganda-Zwecke zu erstellen. Höchst wahrscheinlich stammen die beiden oben genannten Horoskope von ihnen, samt den separat angefertigten Deutungen. Diese separate Deutung erwähnt von Krosigk in seinem Tagebuch-Eintrag ausdrücklich und notiert, dass DIE ALLERDINGS ERST JETZT ERFASST IST. In der Tat, die Deutungen wurden erst rund zweieinhalb Jahre vorher erstellt, nicht 1933.


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Soweit in aller Kürze wenige Beispiele von zahllosen anderen, wie - manipulativ, fahrlässig ? - der Autor mit seinen wunderbar recherchierten Quellen arbeitet.
Noch eines: S. 181 schreibt Berndt, dass seit der Reichskanzlerschaft Hitlers ab Januar 1933 vermehrt Horoskope erschienen wären, allerdings mit unterschiedlichen Geburtszeiten und Aszendenten. Weiter wörtlich: "Da Hitlers genaue Geburtszeit unbekannt war, [...]".
Das trifft nicht zu. Schon 1924 wurde sie durch Elsbeth Ebertin veröffentlicht, in einer Schrift, auf die sich Berndt mehrfach als Quelle bezieht, STERNENWANDEL UND WELTGESCHEHEN, S. 9. Entweder hat Berndt einfach nur bei Elic Howe abgeschrieben, ohne STERNENWANDEL selbst in der Hand gehabt zu haben, oder hat schlampig recherchiert oder überging absichtlich diese Information. Jedenfalls war Hitlers genaue Geburtszeit vor 1933 bekannt, siehe diverse Astrologie-Artikel in diversen Zeitschriften. Allerdings korrigierten einige Astrologen die Geburtszeit z. T. erheblich, je nach eigenem Glauben und Wollen.


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Der "okkulte" Hintergrund Hitlers, von Heß und Himmler:
Wenn Berndt unter anderem seine Quelle Elic Howe seriös benutzt und selber weiter recherchiert hätte, so hätte Berndt auch gewusst bzw. geschrieben, dass sich die NSDAP der 1920er Jahre in München auch aus dem Umfeld einer völkischen Ideologie gespeist hat. Namentlich auch aus dem Umfeld der Thule-Gesellschaft und den Artamanen. Sowohl bei Thule wie Artamanen fanden sich unter anderem gewisse esoterische, theosophische bzw. ariosophische (Arier-Ideologie, Hakenkreuz!) Anschauungen. Heß war Thule-Mitglied, Himmler bei den Artamanen, wie auch Höß und Darré. Und sogar Alfred Rosenberg wie von Schirach sprachen 1929 auf dem Reichsthing der Artamanen....Statt unablässig das vielseitige Schlagwort "Okkultismus" zu verwenden, hätte Berndt formulieren können, dass die Ariosophie einer der ideologischen Hintergründe der frühen NS-Bewegung gewesen war. Das hätte sich nur nicht so mysteriös-gefährlich angehört?

Geistes- und astrologiegeschichtlich bietet mir Berndt viel zu wenig Substanz, er hat sich rätselhafterweise ohne weitere Auseinandersetzung und vertiefte bzw. nennenswerte Kenntnis der Geistesgeschichte, der Geschichte von Astrologie, Theosophie oder Okkultismus und Ariosophie weitgehend "verspekuliert" . Mit umfassenden Einsatz, gekonntem Aufbau und Schreibstil, verbunden mit großem Recherche-Aufwand, hat er ein vielfach fährlässiges Buch geschrieben. Eines, das in unübersehbar "naiver" Art.....ja....."manipulieren" bzw. zu offenkundig "lenken" möchte und daher weitgehend nutzlos geworden ist.  Dabei hätte Stephan Berndt spürbar so ziemlich alle Fähigkeiten zum hervorragenden Sachbuchautor - wenn er nicht seiner fixen Idee vom Okkultismus gänzlich alles unter geordnet und zuviel geopfert hätte.